Zehn Minuten Freiheit
WO FINDE ICH ZEHN MINUTEN FREIHEIT?
Ja, ich gebe zu, zehn Minuten sind vielleicht etwas hoch gegriffen, aber heute bin ich anspruchsvoll. Ich möchte ungestört und akustisch unbeeinträchtigt ein paar Minuten mit Nichtstun verbringen, weil ich eine klitzekleine Auszeit vom Muttersein brauche.
Jeder Ort unseres Heims scheint besiedelt von kleinen Menschen, allesamt Abkömmlinge, die im Minutentakt Anfragen und Arbeitsaufträge an mich richten. Während ich routiniert Antworten gebe, den mehr oder meist weniger höflich formulierten Bitten nachkomme, bearbeitet mein Gehirn weiter das mütterliche Anliegen:
Wo ist DER Ort meiner Sehnsucht?
Auf der Toilette?
Nicht mehr. Seit auch die Kleinsten mit einer Münze mühelos die Tür von außen öffnen können, kann ich diese von der Liste der einsamen Orte streichen.
Schlafzimmer?
Nein. Jedes Kind ist in der Lage, ohne Probleme das bislang äußerst effiziente Treppenschutzgitter zu überwinden.
Arbeitszimmer?
Wieder nein. Siehe Antwort zum Schlafzimmer.
Nomadenschaft oder Flucht bieten auch nicht den gewünschten Erfolg: Verlasse ich einen Raum, in der Hoffnung andernorts Ruhe zu finden, sind mir mindestens drei Verfolger dicht auf den Fersen. Wo kann ich die magnetische Wirkung meines Körpers für kurze Zeit abschalten?
Bevor ich zähneknirschend einsehe, dass mein Wunsch nach einer kleinen Auszeit in der aktuellen Familiensituation absurd und absolut unrealistisch ist, habe ich doch noch die zündende Idee. Im Keller, hinter zwei von innen abschließbaren und schalldichten Türen liegt es:
mein Paradies.
Auf dem grauen Fliesenboden eines Raums ohne Licht- hoffentlich mit Luftzufuhr, mache ich es mir gemütlich. In stillem Alleinsein genieße ich die Ordnung der Abstellkammer. Schräublein an Schräublein schnarcht leise im Werkzeugkasten, Skihelme dösen bis zum nächsten Einsatz, Weihnachtskrippenfiguren geben nicht einen Laut des Protests von sich, auch wenn sie sich den Großteil des Jahres in Zwangsurlaub befinden.
Nach sieben Minuten platzt erst ein, dann ein weiteres extrem störendes Geräusch in mein Einsiedlerdasein und K1 streckt ihren Kopf durch die Tür der Abstellkammer.
»Hier steckst Du!«
Meine Älteste hat den Ersatzschlüssel entdeckt.
Das nächste Mal verstecke ich mich im Gemüsefach des Kühlschranks, da sieht garantiert keiner nach …