Leben mit Kindern,  Sandwichkind

Unser Sandwichkind


UNSER SANDWICHKIND | DIE OLIVE UNTER ERDBEEREN

Brief an eine Ungezähmte

Meine Kleine,

als Sandwichkind hast du es angeblich schwerer, deinen Platz in unserer Familie zu finden. Die Position des ältesten Kindes ist bereits von deiner achtjährigen Schwester besetzt. Und in der Rolle des Nesthäkchens konntest du wegen der Geburt deiner Zwillingschwestern nur für zwei Jahre glänzen.  So klemmst du, sechsjährig, zwischen einem Vorzeigebienchen und zwei Miniaturausgaben der Olson-Zwillinge. Die beiden sind allein als menschliche Doppelausgabe Magnete von Aufmerksamkeit. Sich dazwischen zu positionieren, ist nicht leicht. Und vielleicht brauchst du gelegentlich flausenartige Einfälle, um dich aus der geschwisterlichen Enge zu befreien. Die anderen Bienchen stehen brav und startbereit an den Waben. Allein du Outlaw-Biene nicht: Du bist beim Naschen in den Honigtopf gefallen. Nun kleben die Flügel flugunfähig aneinander. Hierauf nicht mit Unmut zu reagieren, erfordert eine Menge an Gelassenheit, die in unserem Haushalt manchmal leider vergriffen ist.

 

Fräulein Kassandra hätte dich geschimpft, wie sie es mit der Biene Maja getan hat.

Nichts als Ärger. Nichts als Ärger!

So redet man mit keiner Biene und schon gar nicht mit einem Kind. Du bist ein liebenswertes kleines Mädchen. Im Alltag verhälst du dich gelegentlich eigenwillig, was mich an schlechten Tagen zur Weißglut bringen kann.

Du bist der Paradiesvogel unter Pinguinen, die E-Gitarre im Streichquartett, die Olive unter Erdbeeren. Mit dieser Olive gerate ich öfter aneinander als mit den drei Erdbeeren.

Warum?

Jahrelang stellte ich mir diese Frage. Auf eine zufriedenstellende Antwort bin ich nicht gestoßen. Verunglückte Situationen gibt es viele. Der Lieblingspulli nicht gewaschen, ein gelber anstatt eines blauen Tellers, ein schiefer Blick und dein Verdruss ist entfacht, unumkehrbar. Selbst wenn der Faux-Pas wiedergutgemacht, das Unterlassene begangen, der Blick schleunigst begradigt wird.

Für dein Sammelsurium an spannenden Verhaltensweisen eignet sich die Logik eines Erwachsenen nicht. Im einen Moment bist du sprunghaft, im nächsten wieder festgefahren und unflexibel. Wenn du ein Fass Kapern willst, willst du ein Fass Kapern. Kein Glas. Fertig. Deine kindlich unkonventionelle Vorstellungskraft ist grenzenlos – und wunderbar. Leider ist sie in einem vollgestopften Alltag mit seinen Zwängen, Notwendigkeiten und Naturgesetzen manchmal einfach nicht umsetzbar.

 

 

Ein zerbrochenes Ei lässt sich auch mit dem weltbesten Kleber nicht wieder in die exakte Ursprungsform bringen. Wackelpudding kann man nicht am Stiel essen. Und in zehn freie Minuten passt keine Reise ans Meer.

Das ist einfach so. Punkt und aus.

Selbst wenn ich mich noch so anstrenge: Ich werde an solchen Aufgaben immer und immer wieder scheitern. Egal, wie oft du darum bittest, wie laut du darum bittest oder ob du mich überhaupt bittest, sondern vehement forderst.

Ich frage nicht mehr nach dem Warum. Du bist wie du bist.

Und das ist gut so.

Du kleiner Struwwelpeter mit dem engelsgleichen Gesicht, der bei der Geburt keine drei Kilo auf die Waage brachte, bist jemand ganz Besonderes. Was wirst Du wohl in zwanzig Jahren tun?

Bei einem Metzger in die Lehre gehen? In der Molekular-Biologie forschen? Oder deine Abschlussperformance des Kunststudiums als Event gestalten? Titel: Wie ich vor den Augen des Publikums eine Edelstahl-Skulptur mit einer Motorsäge bearbeite, während ein Wäscheberg verbrennt.

Egal, was du tust. Ich bin unglaublich stolz auf dich und werde es immer sein. Auch wenn es im Jetzt manchmal schwer fällt, das zu zeigen.

Deine Mama


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