Vereinbarkeit Familie & Beruf

Nervenkitzel 2020 – Homeschooling gegen Homeoffice


DURCH EINEN NEUEN ARBEITSALLTAG MIT 4 SCHULKINDERN

Mit einem Schlag ist der gewohnte Alltag futsch

Vier Kinder aus drei Jahrgangsstufen an einem Ort vereint. Wo? An unserem Esstisch. Zu pandemiefreien Zeiten ein Ort des familiären Beisammensein bei paniertem Schnitzel, Pfannkuchen oder Pasta. Auch heute noch. Am Montag, den 16. März 2020, dem ersten Tag der bayerischen Schulschließung kam eine neue Funktion hinzu: Ort für Lernen und Arbeit. Für wen? Für unsere vier Töchter, Alter: 11, 9, 7 und 7 sowie für mich. Von einem Tag auf den anderen waren die Schulen verwaist, wurden die Kinder ins Homeschooling und ich, wie viele andere Mütter und auch Väter, ins Homeoffice gestubst.

 

Homeschooling_leeres Klassenzimmer

 

Der neue Alltag dank Homeschooling

Woche 10 eines neuen Alltags, der sich fast ausschließlich in unseren vier Wänden abspielt.

Sportstunden und Musikunterricht im Wohnzimmer über Skype oder Zoom, mal in besserer mal in schlechterer technischer Qualität, sind Normalität. Auch Schule und Beruf wurden zwangsläufig nach Hause verlagert, sollten dort plötzlich räumlich nebeneinander und gleichzeitig stattfinden. Homeschooling und Homeoffice. Was idyllische Entspannung suggeriert und auch mir vor Jahren erstrebenswert schien, ist alles andere. Nur nicht entspannt. Es ist hin und wieder ganz nett, meist aber anstrengend und vor allem eins: nebeneinander und gleichzeitig unmöglich.

Die Theorie: Kinder bearbeiten in ihren Zimmern an den eigenen Schreibtischen wie zu Normalzeiten ihre Aufgaben. Die Praxis: Sieht anders aus, zumindest in 75 % der Fälle. Allein die Elfjährige bringt genügend Sitzfleisch, Selbstdisziplin und auch die Fähigkeit mit, über ihren neuen Online-Zugang den jeweils aktuellen Schulstoff selbständig zu bearbeiten. Schon bei der neunjährigen Drittklässlerin ist eigenständiges Lernen, ohne Anleitung und vor allem ohne regelmäßige Animation, leider nicht möglich. Jedenfalls nicht zu Hause und nicht mit mir. Falscher Ort, falsche Person. Dass zwei Erstklässlerinnen noch betreuungsintensiver sind, dürfte auf der Hand liegen.

Und so sitzen Grundschülerinnen und Mutter vereint am Esstisch. Sie arbeiten vormittags, manchmal auch noch nachmittags, den jeweiligen Stoff Schritt für Schritt, besser gesagt Schrittchen für Schrittchen durch. Die Materie ist nicht das Problem. Erst- und Drittklassstoff kann ich intellektuell erfassen. Schwieriger ist die Wissensvermittlung. Meine größte Herausforderung besteht aber darin, die Kinder bei der Stange zu halten, zu verhindern, dass sie sich von den Geschwistern, der Umgebung oder den eigenen Gedanken ablenken lassen. Wer bearbeitet schon brav im digitalen Aufgabenteil des neuen Lernens die Vorsilben vor- und ver-, wenn die App zig Klingeltöne oder schicke Frisuren für den Avatar im Sortiment hat? Die Versuchung ist für per se neugierige, und natürlich auch medienaffine kleine Menschen einfach zu groß.

Und wann arbeite ich? Mit etwas Glück nach dem Homeschooling. Parallel dazu funktioniert nicht. Habe ich nach anfänglichen Versuchen resigniert eingesehen. Entweder wird mein Computer zum Lernen benötigt oder die lieben Kleinen brauchen zum Teil minütlich Unterstützung. Wofür überhaupt anfangen, wenn ich eh permanent unterbrochen werde? Professionelle Gedanken, Geschäftsmails, Schriftsätze. Vokabeln einer unerreichten Welt.

Im Bestfall ein Drittel des Bisherigen, an schlechten Tagen Null. Lautet das Resumée zu meinem Arbeitspensum nach gut zwei Monaten. Das Ende des täglichen Homeschoolings bedeutet nämlich nicht, dass sich der Nachwuchs schweigsam und über Stunden mit einem guten Buch in sein Reich verzieht. Nach dem täglichen Homeschooling beginnt der ganz normale Alltag mit Kindern. Und das bedeutet ständige Verfügbarkeit.

 

Mama, ich habe Hunger. – Mama, ich habe Durst. – Mama, mir ist langweilig. – Mama, darf ich ein Eis haben? – Mama, warum darf ich nicht mehr fernsehen?

 

Was wollte ich gerade arbeiten? Keine Ahnung, die Waschmaschine piepst seit Minuten, mittlerweile äußerst aufdringlich, um endlich geleert zu werden. Erledigte Punkte auf meiner beruflichen Todo-Liste: null.

 

Homeoffice_mit_Homeschooling

 

Nach dem Lock-down

Die Wirtschaft beendet nun langsam ihre Zwangspause, auch andere Bereiche dürfen unter Auflagen wieder öffnen. Unser Leben wird sich jedoch weiterhin überwiegend in den eigenen vier Wänden abspielen. Als Mutter von Kita-Kindern wäre ich noch schlechter dran, dann hätte ich nämlich überhaupt keine zeitliche Perspektive. Doch auch die Aussichten als Familie mit Schulkindern sind nicht besonders rosig. Nach der Schulöffnung wechseln sich planmäßig bis zu den Sommerferien Präsenzunterricht und Homeschooling im Wochenrhythmus ab. Bedeutet, Präsenzunterricht nur jede zweite Woche mit einem extrem abgespeckten Stundenplan; konkret Unterricht von 8 bis 11 Uhr. Den Gang ins reale Büro kann ich mir sparen.

Aber es gibt doch Notbetreuung! Theoretisch, ja. Sogar im Zeitfenster des bisherigen Unterrichts. Das Anschreiben der Schule hierzu liest sich jedoch eher als Abschreckung denn als ernsthaftes Angebot. Fehlte nur die Überschrift: Bitte lassen Sie uns in Ruhe! Sinngemäß lautet der Appell, die Notbetreuung mangels räumlicher und personeller Kapazitäten nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn es wirklich, wirklich gar nicht, überhaupt gar nicht anders geht.

Auf meine zwangsläufige Nachricht, unsere Kinder gingen nicht in die Notbetreuung, erhielt ich ein erleichtertes Dankeschön der Klassenlehrerin.

 

Wohin führt das Homeschooling?

„Wer nicht bereit ist, seine Kinder zu betreuen, hätte am besten keine kriegen sollen.“  Kommentar an eine Mutter in den sozialen Medien, die es wagte, die aktuelle Situation zu hinterfragen. Was antwortet man da? Nichts, weil der unterschwellige Vorwurf offensichtlich undurchdacht ist oder lässt man sich auf eine sinnlose Auseinandersetzung im Netz ein?

Gegenseitiges Bashing scheint in jüngster Zeit noch hoffähiger als sonst geworden zu sein. Jung gegen Alt, Kinderlose gegen Eltern, Laschet gegen Söder, Drosten gegen Streeck, jeder gegen jeden und am besten alle gegen Bill Gates. Destruktiv. Schade.

Eine Grundschullehrerin schrieb zu Beginn der neuen Situation an uns Eltern: Lassen Sie Ihre Kinder im Homeschooling nicht allein. Den Satz rufe ich mir ins Gedächtnis, wenn der Tag fast rum, die Geduld verbraucht ist, zum x-ten Mal Minusrechnen über die Zehn zu erklären oder einer Siebenjährigen nahezubringen, dass unterstreichen nicht durchstreichen bedeutet. Muss ich erwähnen, dass für Homeoffice wieder keine Zeit war? Auch wenn es manchmal schwerfällt, bin ich gerne für meine Kinder da, höre Gedichte ab, stelle den Computer zum Lernen zur Verfügung und versuche, so gut es geht, zu motivieren und Nervenzusammenbrüche aufzufangen.

 

Homeschooling_Schülerin

 

Doch auch mein Tag hat nur 24 Stunden. Durch die Schulschließung oder den jetzt folgenden dreistündigen Präsenzunterricht ist mir eine ernsthafte Berufsausübung unmöglich. Und das auf unabsehbare Zeit. Wofür habe ich mir eigentlich noch ein Zweitstudium angetan?

Zum Glück arbeite ich in der Rechtsanwaltskanzlei meines Mannes. Theoretisch. Dies gibt uns extreme Freiheiten. Ich muss mich vor keinem Arbeitgeber und keinem Kollegen rechtfertigen, wenn etwas unerledigt bleibt. Nichtsdestotrotz ist die Situation nicht schön. Für meinen Mann nicht, weil der meinen Part in der Kanzlei mitstemmen muss. Für mich nicht, weil ich plötzlich unfreiwillig überwiegend Hausfrau bin. Besonders aber für die Kinder nicht. Abgesehen von ihren Freunden fehlt ihnen Vieles. Qualifizierter Unterricht, Lernen im Klassenverband, klare Strukturen, der Schulgong.

Selbst zu coronafreien Zeiten war der Spagat zwischen Familie und Berufsleben oft schmerzhaft. Doch die Wahl für Kinder und Beruf habe ich schließlich freiwillig getroffen und ich hatte viel Unterstützung: die Schule, einen Freizeittreff, Großmütter. All das ist weggefallen. Dazu gekommen ist die Pflicht, die Kinder zu Hause zu beschulen. Weitgehend alleingelassen. Mal sehen, wohin das führt.

Am Ende eine weiteren Homeschooling-Tages werden meine Kinder stolz verkünden:

Mathe und Deutsch sind meine drei gutesten Fächer.


 

Verbiete Google Analytics, mich zu verfolgen. Hier klicken um dich auszutragen.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner