Wenn die Tour zur Tortur wird – Einkaufen mit Kindern
DIE MILCH IST ALLE!
Mittwoch, 16.23 UHR.
Ein Blick in den Kühlschrank genügt und mir bricht der Schweiß aus. Auch der Liter Notration ist verbraucht, wurde besser gesagt in einem Moment kindlicher Unachtsamkeit in eine kleine Lache auf dem Tisch und einen großflächigen See auf dem Boden verwandelt. Eine Katastrophe!
Ohne Milch kann der trögeweise Bedarf meiner Töchterschaft – 1 Grundschülerin & 3 Kindergartenkinder – nicht gedeckt werden. Akut schlimm: Ich kann keine Pfannkuchen zaubern. Das habe ich zigmal just für heute versprochen und das muss ich halten, um weiterhin als Mutter glaubhaft zu bleiben. Da eine eigene Kuh leider immer noch nicht zu unserem Hausstand gehört, steht das Unausweichliche bevor:
Ich muss einkaufen. Sofort! Und zwar mit allen vier Kindern.
Zur Shopping-Rush-Hour.
Ein Alptraum. Was andere nebenher, mal eben so, zwischendurch oder im Vorbeigehen erledigen, ist für mich eines: Tortur. Bis alle angezogen und abfahrbereit im Auto sitzen, dauert es dreißig Minuten.
Lieber diese oder doch andere Schuhe? – Ich muss auf’s Klo. – Ich auch! – Ich habe Durst. – Mit der Jacke schwitzt mir. – Das ist meine Mütze, gib die sofort her …
Die Idee, nach einer Fahrt im Schritttempo durch den Feierabendverkehr ganz fix in den Laden zu hüpfen, um ohne Gefolge 14 Liter Milch und was mir sonst noch auf die Schnelle einfällt, zu erbeuten, während die vier im Auto warten, käme mir aus diversen Gründen natürlich niemals in den Sinn. Und so entsteigt Tochter 1, Tochter 2, Tochter 3, Tochter 4, zum Teil umständlich und über Umwege, der Familienkutsche und begibt sich zielsicher zu den Mini-Einkaufswägen, von denen glücklicherweise eine ausreichende Zahl vorhanden ist.
Einkaufen als solches ist nicht schwer.
Das kriege ich grundsätzlich hin. Doch wenn ich neben der Warenbeschaffung den Überblick über meine Mädchenmeute behalten muss, darauf achten soll, dass kein Quartettmitglied entflieht, unsinniges Zeug in einen der fünf (!!!!!) Einkaufswagen packt, sich oder andere verletzt oder gar Ladendiebstahl begeht, zumindest in Versuchsform, gerate ich mit nur zwei Augen, zwei Armen und zwei Beinen schnell an meine natürlichen Grenzen. Stell dir vor: Vier Ponys, sehr eigenwillige Ponys. Ein Porzellanladen. Deine Aufgabe: Die fanatischen Vier ohne Schaden anzurichten durch die Menge an zerbrechlichen Kostbarkeiten zu lotsen.
Hast du das Bild vor Augen? Ja?
Dann kannst du in etwa nachfühlen, wie es mir bei einem Einkauf im Fünferpulk an einem Mittwoch um 17.37 Uhr geht.
Gut gemeinte Anweisungen, in meiner Nähe zu bleiben, werden nicht wahrgenommen oder sofort missachtet. K1 schlendert zu den Reiswaffeln, K2 hat grüne Oliven im Visier, K3 und K4 bleiben immerhin zusammen, wobei das eine dem anderen permanent den Wagen in den Rücken oder die Waden rammt, was schnell Gegenwehr auslöst. Nachdem ich die beiden Streitküken mit zwei Kilopackungen Schokomüsli besänftigen konnte, sind K1 und K2 außer Sichtweite.
Wo sind meine Kinder???
Anstatt flugs das Nötigste in den Wagen zu packen, bin ich nun damit beschäftigt, zwischen Regalen mit Müsli, Mehl und Eiern die verlorenen Kinder zu suchen. Gleichzeitig soll ich darauf achten, dass die andere, noch nicht abhanden gekommene Hälfte nicht ebenfalls eigene Wege im Ladenlabyrinth geht.
Bei – zum Glück nicht in – der Tiefkühltruhe mit den Eisvorräten werde ich fündig. Dem entstandenen Konflikt, ob Vanille, Erdbeere, Schoko oder doch lieber Banane, setze ich noch eins drauf: Gar kein Eis kommt in die Tüte, respektive in den Wagen. Bevor der Protest akustisch das Maß des sozial Adäquaten überschreitet, muss schnell eine Alternative her, die geeignet ist, den Eismangel ansatzweise auszugleichen. Und so wandert Badeschaum mit Glitzerpartikeln, natürlich in vierfacher Ausfertigung, in die Einkaufswägen. Im Vorbeigehen werfe ich noch schnell das hinein, was mir als notwendig erscheint und schneller als erwartet bin ich am Ziel. Fast.
Folgt nur noch die letzte Etappe, wobei diese leider zu den schwierigsten gehört:
die Passage der Süßigkeitenregale.
Mama, kann ich Kekse haben? – Mama, die Schokolade schmeckt mir so lecker! – Mama, alle Kinder kennen diese Bonbons, nur ich nicht! – Mama, wenn ich die Gummibärchen nicht bekomme, platzt mein Kopf.
Was soll ich antworten?
Nein? Ja?
Ich wähle eine Zwischenvariante.
»Wenn ihr das möchtet, müsst ihr aber den Badeschaum zurückstellen.«
Immerhin entscheiden sich fünfzig Prozent gegen Süßes und für die Glitzerseife. Endlich an der Kasse, besser gesagt am Ende der Schlange vor der Kasse. Zehn Kunden später legen respektive werfen mindestens drei Stöpsel ihre Waren aufs Band, natürlich mit dem Ziel, Erster zu sein und natürlich ohne Berücksichtigung dessen, dass vor uns andere Kunden an der Reihe sind. Von den Blicken Umstehender lasse ich mich nicht aus der Fassung bringen.
Täte ich dies, würde ich stressbedingt in Tränen ausbrechen.
Die Blöße gebe ich mir nicht. Da ich in der konkreten Situation schlecht in einer minutenlangen Yoga-Entspannungshaltung verharren kann, wähle ich die Express-Relax-Variante und atme, so lässig ich kann, gegen meine innere Unruhe an. Darüber, dass der Einkauf 98,76 Euro und nicht 15,26 Euro kostet, wundere ich mich mittlerweile nicht mehr, denn schließlich hat sich Etliches wie von Zauberhand in die fünf Einkaufswägen geschlichen, dessen Anschaffung zwar nicht geplant, im konkreten Moment aber mehr oder weniger unvermeidbar war.
Beim Einräumen der bezahlten Ware fällt mir auf, dass ich etwas Wesentliches vergessen habe: Die Milch!
Du erinnerst dich? Wegen der Milch habe ich überhaupt erst den Weg hierher angetreten. Als Folge meines Milch-Versäumnisses müsste ich zwei weitere Male (hin und wieder zurück) mit meiner Gefolgschaft an den Süßigkeiten vorbei. Das spare ich mir. Der Einstieg der Passagiere ins Gefährt und deren Abfertigung für den Transport gestalten sich unkompliziert. Ich versorge alle für den zehnminütigen Rückweg mit Proviant, der locker für eine dreistündige Autofahrt reichen würde. Dass schon an der ersten Ampel die Kleinsten einen Powernap einlegen und deshalb putzmunter bis 23 Uhr Rambazamba veranstalten werden, ich das Wageninnere einer Komplettentbröselung werde unterziehen müssen und keine zwei Minuten nach unserer Rückkehr eine heiße Diskussion entbrennen wird, wieso es trotz mehrfacher Versprechungen doch keine Pfannkuchen gibt, weiß ich ja noch nicht und kratzt mich daher wenig. Für den Moment habe ich es geschafft. Uff! Milch kaufe ich dann halt morgen.