Jede zweite Biene leidet an Burnout
Ein Berufsstand vor dem Aus?
Süßer Frühlingsduft, Zirpen von Grillen, Gräser, die sanft im Wind schwingen – eine Blumenwiese. Was den einen schnelle Erholung bietet, eine Möglichkeit, die Seele baumeln zu lassen, bedeutet für andere vor allem eins: Arbeit. Summ summ summ steht hier nicht für unbeschwertes Herumschwirren. Wer in den Frühlings- und Sommermonaten ein Summen vernimmt, kann sich fast schon sicher sein, dass es von einer gestressten Biene stammt.
Rein in die Blüte, raus aus der Blüte, zurück zum Bienenstock, Nektar abliefern und wieder los. Zig Male am Tag. Kein Wunder, dass so Mancher da die Puste ausgeht und zwar gründlich. Biene Birte ist die Puste ausgegangen und das schon vor langem. Seit Jahren leidet sie unter Erschöpfung und Dauermüdigkeit gepaart mit Schlaflosigkeit, ist gereizt, hat kaum Appetit. „Wenn ich könnte, würde ich das Handtuch schmeißen“, klagt Biene Birte. Vor gut einem Jahr kam die Diagnose des Hausarztes: Burnout.
„Aber, was soll ich denn machen? Wer bestäubt die Blumen und sammelt Nektar? Außerdem kann ich doch nichts anderes?“
Birte ist nicht die einzige. Fachleute vermuten eine Betroffenenquote von fünfzig Prozent pro Bienenvolk. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. In Zeiten des Bienensterbens ein gravierendes Problem. Bisher hat Birte die Flügel gestrafft und emsig weitergearbeitet. In absehbarer Zeit wird es ihr unmöglich sein, den bisherigen Beruf der Honigbiene auszuüben. Sie ist schlicht am Ende ihrer Kräfte.
Warum hat sie so lange durchgehalten?
Aus mehreren Gründen. Der Ruf des fleißigen Bienchens kommt nicht von ungefähr. Fleiß ist den Immen bereits in die Wabe gelegt. Quasi gleich nach dem Schlüpfen geht es instinktiv ans Nektarsammeln. Viele haben einen immensen Anspruch an sich selbst.
Hinzu kommt der soziale Druck, gleich aus zwei Richtungen: Aus der Chefetage; Bienenköniginnen sind strenge Arbeitgeber. Und aus dem Kollegenkreis. Mobbing im Bienenstock – ein Tabuthema, dessen Ausmaße nur langsam ans Licht kommen. Der Gruppendruck, unter den zigtausenden Arbeiterinnen diejenige mit dem größten Nektarertrag zu sein, ist immens. In fast jedem Bienenvolk herrscht ein harter Konkurrenzkampf, den sich Außenstehende kaum vorstellen können.
Auch sind die Arbeitsbedingungen fatal. Siebentagewoche, Vierzehnstundentage, kein Urlaub, keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, keine Berufsunfähigkeitsversicherung. „Unattraktiv“ ist da noch untertrieben.
„Kein Wunder, dass einem da der Spaß an der Arbeit vergeht“, konstatiert Birte. „Fleiß im Blut hin oder her.“
Rundum eine physische Belastung, die ihre Folgen hat. Die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen ist da nur logische Konsequenz. Ein weiterer Stressfaktor: der Fachkräftemangel. Wenn nur die Hälfte der Belegschaft für die Rohstoffbeschaffung vor Ort parat steht, muss man kein Branchenkenner sein, um das Problem zu verstehen.
Der hiesige Nachwuchs wird auch immer anspruchsvoller. Vier- oder gar Dreitagewoche, am besten ausschließlich im Homeoffice, Remotearbeiten aus Hawaii. „Wie man aus dem Homeoffice heraus den Nektar sammeln und die Honigproduktion aufrechterhalten will, soll mir mal einer erklären.“ Birte schüttelt fassungslos den Kopf.
Ein Berufsstand vor dem Aus?
Nicht unbedingt. Willi Witt, Vorsitzender des Verbands Bienen Deutschlands e.V. gibt Anlass zu Hoffnung. „Wir müssen offen sein. Wer den Blick auf Gestern richtet, verpasst den Anschluss. Deshalb: Zuwanderung von Fachkräften aus anderen Ländern, insbesondere aus Fernost. Eine Alternative, um das hiesige Personal zu entlasten, sehe ich derzeit nicht. Chinesische Bienen zum Beispiel sind mindestes genauso fleißig wie die Einheiten vor Ort, sie sind anpassungs- und teamfähig.“
Und der Haken?
„Zugegeben: Es gibt Sprachbarrieren, die Schlaf- und auch die Essgewohnheiten sind andere“, fährt Willi Witt fort. „Treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander, kann es schon mal die eine oder Reiberei in dem Weiberhaufen geben. Unter chinesischen Bienen gehört es etwa zum guten Ton, Mahlzeiten laut schlürfend zu sich zu nehmen. Hiesige Bienen, Stille gewohnt, irritiert dies. Doch …“, Witt hebt das rechte Vorderbein „…die Vorteile überwiegen bei Weitem. Wir können die gleichen Mengen an Nektar wie bisher sammeln, vielleicht sogar mehr, die Honigproduktion läuft und das Wichtigste: Unsere Mitarbeiterinnen haben endlich Zeit, ihre Probleme anzugehen.“
Genau das hat Biene Birte getan. Seit kurzem geht sie wöchentlich in die Sprechstunde des psychologischen Dienstes im Bienenstock. Dort lernt sie, ihre Grenzen zu definieren und – ganz wichtig – zu kommunizieren, sie hat Strategien zur Stressbewältigung entwickelt, plant bewusst Pausen und hat ihre Arbeitssituation verändert.
Nach einer Umschulung zur Integrationsbeauftragten des Bienenstocks baut sie nun Brücken zwischen den Alteingesessenen und den Neuankömmlingen. Alles unter dem Zeichen der Bienenvölkerverständigung. Kulturveranstaltungen, Spieleabende, kulinarische Events als fester Bestandteil des Bienenlebens. Freitags beispielsweise wird der Honig mit Stäbchen gegessen.
Und was ist mit Biene Birtes Beschwerden?
„Seit ich wieder Freude an meiner Arbeit habe, sind diese wie weggeblasen.“