Geburt,  Leben mit Kindern,  Sandwichkind

Geht’s auch schneller? – Das soll eine Spontangeburt sein?


EIN GEBURTBERICHT

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Spontan ist anders.

Spontan bedeutet für mich flott, ad hoc, kurz entschlossen. Dreizehn Stunden sind nicht spontan. Dreizehn Stunden Wehen sind lange, sehr lange. Zweieinhalb Jahre nach dem ereignisreichen Tag im Juni (Geburt unserer ersten Tochter) stand ich an einem kalten Novembersamstag im Flur unserer Wohnung und blickte an mir hinab. Ein riesiger Fleck zeichnete sich auf der Hose ab, der die Vermutung nahe legte, ich hätte es nicht rechtzeitig zur Toilette geschafft. Diese peinliche Variante wäre mir lieber gewesen. Die Realität – geplatzte Fruchtblase – bedeutete: Unser unser zweites Baby, die spätere Sandwichgranate, kam fünf Wochen zu früh. 

Und jetzt?

Das Telefonat mit der Nachsorgehebamme beruhigte: Der Babykopf lag fest im Becken. Ich musste nicht liegend ins Krankenhaus transportiert werden. Mit Koffer, einem riesigen Handtuch zum Auffangen des stetig tröpfelnden Fruchtwassers und der zweieinhalbjährigen L. begaben mein Mann und ich uns durch den zähen Nachmittagsverkehr ins Krankenhaus. Während ich am CTG Herztöne und Wehen verfolgte, regelte der bald zweifache Vater die Unterbringung der bald großen Schwester bei der Oma. Die wohnte zum Glück um die Ecke.

Mann, hab ich Hunger!

Anstatt am Abendessenstisch zu sitzen, lag ich auf einem Klinikbett. Mein Magen knurrte dermaßen, dass ich mich fragte, ob Baby im Bauch sich deswegen ängstigte. Die Geburtshebamme war im Vergleich zum vorigen Mal eine Wohltat. Freundlich und fürsorglich. Die anfänglichen Wehen waren erträglich. Noch erinnerte nichts an das erste Geburtsgeschehen mit seinen undenkbar schlimmen Schmerzen, vor dessen Wiederholung ich mich seit Beginn der zweiten Schwangerschaft geängstigt hatte.

Hie und da ziepte es und die Hebamme schlug ein Bad vor.

Tatsächlich linderte das warme Wasser den Druck der Kontraktionen und ich traute mich sogar, den knurrenden Magen zu erwähnen. In der lauschigen Wanne verspeiste ich genüsslich ein riesiges Käsebrot zwischen einzelnen Wehen, die sich mit Atmen und Aaaaaaa-Lauten aushalten ließen. Noch.

 

 

Nach einiger Zeit nahm die Vehemenz der Wehen zu. Der Körper erinnerte sich an die schier unerträgliche Qual, derentwegen ich mir damals Ohnmacht und Schlimmeres herbeigesehnt hatte. Zum Glück war mein Mann von seinem kleinen Ausflug zurück und konnte mir bei der aufsteigenden Panik vor dem, was kommen könnte, zur Seite stehen.

Würde ich wieder falsch atmen? – Würde es wieder einen Geburtsstillstand geben? – Würde es wieder ein Notkaiserschnitt werden?

Falls ja, hätte ich dann ein zweites Mal versagt?

Mir war unsagbar heiß, obwohl ich nur ein Stretchband um den Bauch trug. Das Band war immens wichtig. Dass ich ansonsten splitterfasernackt war, oben und unten alles frei, störte mich nicht im Geringsten. Wieder bot mein Körper keinen Schutz gegen das Martyrium. Wieder war ich dem Geschehen wehrlos ausgeliefert. Wie zum Teufel war ich auf die Idee gekommen, noch ein Kind zu wollen? Würde ich dieses Wesen, dessentwegen ich gerade durch die Hölle ging, so lieben können wie meine erste Tochter? Wieso hatte ich nicht gleich einen Kaiserschnitt verlangt? Jetzt, nach etlichen Stunden und etlichen Wehen, beachtete niemand meine Bitte, besser gesagt meine gebrüllte Forderung. Ehemann F. streichelte meinen Kopf, redete in einer Tonlage, als sei ich nicht ganz dicht.

Wir hätten doch besprochen, dass …

»Gar nichts haben wir besprochen!! Ich will was trinken!!« – »Natürlich, Liebes.«

Das Szenario beobachtete ein Assistenzarzt. Warum? Stumm saß er Stunde um Stunde auf seinem Stuhl, sah mich, nackt, entblößt, leidend, schreiend, meinen um Beruhigung bemühten Mann.

Die Hebamme betrat den Raum. War sie weg gewesen? Im Schlepptau zwei Anästhesisten. Gleich zwei! Reichte einer nicht? Hoffnung keimte auf! Anästhesist = PDA = weniger Leid. Hoffentlich. Bis die PDA erfolgreich gesetzt werden konnte, dauerte es eine Stunde. E-I-N-E Stunde. Um eine einzige, winzige Nadel zu setzen. Drei Anläufe waren nötig, ich im Tal der Qualen. Jeder Nadelstich ins Rückenmark brachte ein Blitzgewitter über meine Nerven, das zusätzlich zu den Wehen zu stemmen war.

Ohnmacht, wo bist du??

Die dritte Nadel saß. Endlich. Endlich wirkte die Narkose, ich konnte aufatmen konnte und erst jetzt fiel mir auf, wie voll der kleine Raum war. Eine Entourage an Klinikpersonal – Hebamme, zwei Anästhesisten, zwei Ärztinnen, Assistenzarzt – Ehemann und ich. Acht Leute auf zehn Quadratmetern. Was verschaffte mir die Ehre? Mein Alter (37)? Mein Geschrei? Die Frühgeburt?

Nach etlichen Stunden, deren Ablauf ich nicht mehr minutiös erinnere, wurde mein Körper von einer kleinen Explosion erschüttert. Sie verursachte einen Schmerz, der alles toppte. Es fehlte nicht viel zum Beckenbruch. Das wusste ich genau.

»Ich will einen Kaiserschnitt!!!«

Krächzte ich heiser von den Schreien der vergangenen Nacht.

 »So ein Schmarrn!«

In der Hebamme hatte ich mich getäuscht. Die war auch nicht nett. Gar nicht fürsorglich.

»Für einen Kaiserschnitt ist es zu spät. Das Kind ist schon im Becken, die Spontangeburt dauert nicht mehr lang.«

Was für ein Widerspruch in sich!!

Spontan ist anders. Spontan dauert nicht unzählige Stunden. Unter spontan verstehe ich kurz entschlossen, sofort, ad hoc. Und plötzlich …? Waren alle Schmerzen verflogen. Zehn Stunden nach dem Käsebrot lag am ersten Advent morgens um viertel vor sechs ein Bündel Leben auf dem Klinikbett. Unendlich klein, knapp 2,5 Kilo, brüllte es, was das Zeug hielt. Unkontrollierbar flossen die Tränen. Tränen wegen des Erlebten, wegen der unfassbaren Strapazen, physisch und psychisch, und Tränen des Glücks, die keiner verstehen konnte, der es nicht selbst durchlebt hatte. Da lag sie. Unsere zweite Tochter, C. Was hatten wir erwartet? Wen hatten wir erwartet? Einen optischen Abklatsch der ersten? Blauäugig war sie, wie alle Babys. Statt des erwarteten blonden Flaums war das kleine Köpfchen voll mit langen dunklen, fast schwarzen Haaren.

 

 

»Ich geh kurz zur Cafeteria? Möchtest du eine Cola? Light?« Brauchte mein Mann einen Tapetenwechsel?

»Spinnst du?! Cola ja, aber mit extra Zucker!«

Energie. Die brauchte ich jetzt, um für das rauschähnliche Glücksgefühl gewappnet zu sein, das mich in den nächsten Stunden und Jahren begleiten würde.


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