Nervenprobe deluxe – Ein Morgen mit Kindern
MITTWOCHMORGEN
Oder Donnerstag. Oder Freitag.
Er verläuft wie immer unter der Woche. Der Wecker klingelt, ich hieve meinen knarzenden Körper aus dem Bett, taumle ins Bad. Nach dem Duschen gönne ich mir in Ruhe einen Kaffee, überprüfe meine Kraftreserven und komme zu dem Schluss, dass das erforderliche Energielevel, um den in wenigen Momenten drohenden Herausforderungen standzuhalten, noch nicht erreicht ist. Das hilft mir aber nichts. Ich muss da jetzt durch.
Vier identische Brotzeitboxen liegen ordentlich aufgereiht vor mir. Die mag ich. Nie frech, nie stur, nie widerborstig. Brav lassen sie sich jeden Morgen füllen. Nach einem weiteren Kaffee muss ich das Unvermeidliche tun: Ich muss die Kindlein wecken.
Wie üblich hat niemand des Quartetts im Alter von acht, sechs, vier und vier Jahren auch nur die geringste Lust, aufzustehen. Nach endlos scheinenden Momenten des Bittens, Bettelns und Drohens schlürft die Älteste mit geschlossenen Augen ins Bad, um dort kostbare Minuten mit Nichtstun zu verplempern.
Tochter 2 ist trotz heftigem Rütteln nicht wachzukriegen. Im Zwillingszimmer, dem gemeinsamen Reich der Nesthäkchen, haben sich die beiden herabgelassen, ihr Bett zu verlassen. Leider nicht, um wie von mir wieder und wieder gepredigt, sich anzuziehen, sondern um was zu tun? Zu basteln! Tochter 1 beendet ihr Nichtstun im Bad und schlürft mit nunmehr nur noch halb geschlossenen Augen in ihr Zimmer.
»Was soll ich anziehen?«
Nachdem ich die hoffentlich passende Garderobe herausgesucht habe, versuche ich erneut mein Glück bei Tochter 2. Zu meiner großen Freude hat auch diese mittlerweile ihre Schlafstelle geräumt, leider aber auch versäumt, sich anzuziehen, sitzt stattdessen am Schreibtisch, die Arme vom Handgelenk bis zur Schulter mit Eiskönigin-Stickern beklebt.
»Ich mache das nur noch schnell fertig.«
Vier bis fünf Stunden. Geschätzte Dauer, um alle Aufkleber im Stickerheft zu verteilen. Eindeutig zu lang. Weniger als eine halbe Stunde bis zum Abmarsch.
Vor fünf Minuten hätte das große Kind das Haus verlassen müssen. Hat sie nicht, legt mir stattdessen eine Probe und einen zweiseitigen Elternbrief mit Rücklauf vor. Der Vorsatz, ruhig und gelassen zu bleiben, wird zur Herausforderung. Unbesehen unterschreibe ich beides und mahne nicht zum ersten Mal an diesem Morgen zur Eile. Im Schneckentempo zieht sich das Kind an und ist nach einer gefühlten Ewigkeit endlich so weit, das Haus zu verlassen. Die winterkalte Temperatur lässt mich hoffen, dass meine Große den Weg in die Schule finden wird, ohne einzuschlafen. Ich schließe die Tür, atme tief durch, freue mich für eine Sekunde, dass ich mich nur noch mit drei Gegnern auseinanderzusetzen habe. Es folgen diverse, überflüssige Gänge in den ersten Stock zu den bastelnden Kindern. Niemand macht Anstalten, sich anzuziehen. Auch eine halbe Stunde nach dem Aufstehen ist jede in ihre augenblickliche Aufgabe vertieft. Im Schlafanzug. Bei nächster Gelegenheit lege ich mir eine akustische Sammlung zu, die ich bei Bedarf vom Handy abspielen kann. Täglich, stündlich oder minütlich benötigte Sätze.
Steht auf. – Zieht euch an. – Kommt zum Essen. – Geht ins Bett. – Bitte!
Zwischendurch kehre ich ins Erdgeschoß zurück, tue, nur um nicht sinnlos herumzustehen, einen Handgriff, der auch später hätte erledigt werden können, hole aus dem Keller erst eine, dann noch eine und schließlich die letzte Schneehose. Mit Nachdenken hätte mein Tun effizienter gestaltet werden können.
In 15 Minuten müssen wir los. Noch immer sitzen die Damen in ihren Zimmern. Der Vorsatz, ruhig und gelassen zu bleiben, lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Mein Puls geht schneller und erste Anzeichen von Ärger kündigen sich an. Um die frühe Zeit schon der erste Wutausbruch? Offenbar fühlen die kleinen Damen, dass ihre Mutter nervlich kurz vor knapp steht, denn wie durch ein Wunder steckt jede von ihnen in einigermaßen passenden Anziehsachen. Auch der sonst obligatorische Anfall, weil das Lieblingskleid nicht gewaschen ist, bleibt aus. Dass ich mich für die farbliche Zusammenstellung der Outfits in der Öffentlichkeit schämen könnte, ist mir im Moment egal. Ebenso wie Cornflakes mit Smarties zum Frühstück. Sind schließlich nicht meine Zähne.
Zwischenergebnis: Alle sind komplett angezogen! Jetzt folgt die nächste Etappe: Der Weg in den Kindergarten. 600 Meter, die es in sich haben.