Die erste Geburt – ein Notkaiserschnitt
ERSTER VERSUCH UND GLEICH GESCHEITERT | EIN NOTKAISERSCHNITT
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Um es vorweg zu nehmen: Ich habe versagt. Bei meiner ersten Geburt, an der ich als Mutter beteiligt war. Trotz größter Anstrengung habe ich das nicht hinbekommen, was von jeder werdenden Mutter erwartet wird. Was einem jede, wirklich jede Hebamme als absolutes Muss verkauft: die natürliche Geburt. Sie ist missglückt. Herausgekommen ist ein Kaiserschnitt. Notkaiserschnitt. Macht das die Sache besser?
Ein Donnerstag im Juni vor rund neun Jahren, 0.00 Uhr. Drei Tage nach dem errechneten Geburtstermin. Auf dem Weg ins Bett zog sich ein bis dahin unbekannter Schmerz durch meinen Bauch. Was war das? Der Blinddarm? Unbedarft legte ich mich hin. Wenige Minuten später wurde mein Bauch von der Größe eines Medizinballs in einer nicht zu ignorierenden Heftigkeit kontrahiert. Das war doch nicht etwa …? Als Erstgebärende konnte ich nur vermuten, worum es sich handelte.
Uaaaah!! Eine Wehe? Oder zwei?!
In der kommenden Stunde nahm das Ziehen zu, die Abstände wurden kürzer. Seit drei Tagen würgte ich einen ekligen Cocktail aus Zimt, Nelken und Ingwer runter. Den hatte mir die Hebamme gemixt, um die Wehen in Gang zu bringen. Und tatsächlich! Er zeigte Wirkung!
Vor meinem geistigen Auge sah ich die Hebamme mit erhobenem Zeigefinger.
»Fahr nicht zu früh in die Klinik! Sonst wirst du wieder heimgeschickt!«
Wehen waren wichtig. Das war uns im Geburtsvorbereitungskurs permanent eingebläut worden. Bloß kein Kaiserschnitt! Was der alles kaputt machen konnte. Ich riss mich tapfer zusammen, atmete wie gelernt in der warmen Badewanne. Mein Mann F. schlief.
Ein Ziehen alle vier Minuten. Das musste eine Wehe sein! Die Schmerzen ließen sich beim besten Willen nicht mehr wegatmen. Ich weckte meinen Mann.
»Hast du wieder einen Magenkrampf?« – »Nein, Wehen. Alle vier Minuten. Ich habe schon in der Klinik angerufen. Wir dürfen kommen.«
Auf Anhieb war mein Gemahl hellwach, packte zielsicher die seit Wochen bereitstehende Tasche. Wir düsten durch die nächtlichen Straßen ins Krankenhaus. Dass wir die eine oder andere rote Ampel missachteten, störte auf nachtleeren Straßen hoffentlich niemanden.
Meine Vorstellung: Spontangeburt mit PDA.
Wozu die PDA wohl gut war? Jedenfalls nicht zur Leidenslinderung. Pressen und lächeln. Wieder so ein Ratschlag der Hebamme. In meinen Augen völlig unbrauchbar, denn schnell war mir das Lächeln vergangen. Wehen freudestrahlend begrüßen. Wie soll das bitte gehen? Die Geburt bestand aus einem: Schmerz. Anfangs wirkte die Betäubung noch, ließ mich kurz schlafen und gab dem werdenden Vater die Möglichkeit, in der Cafeteria einen Kaffee zu trinken.
Schon nach fünfzehn Minuten ließ der Effekt nach. Auch mehrmaliges Nachspritzen nützte nichts. Jede Ladung Schmerzmittel erhöhte den Kontrollverlust über meinen Körper, bis ich mich alleine kaum mehr bewegen konnte. Mir war speiübel, wobei F. tapfer die Spuckschüssel hielt. Ein Wehenstau führte zu einer nicht enden wollenden Dauerkontraktion, die zuschnürte wie ein viel zu enges Korsett. Die ungewohnte physische und psychische Belastung ließ etliche Tränen fließen, ohne dass ich sie stoppen konnte. An keinen Ort in meinem Körper konnte ich mich zurückziehen. Auf Gedeih und Verderb war ich dem Schmerz ausgeliefert, er war überall, hörte und hörte nicht auf. Hätte mich jemand in der Situation gefragt, ob ich Kinder wollte: Ich hätte ihn getreten.
»Nein, Frau Hell. So geht das aber nicht! Sie müssen anders atmen!«
Wieder so eine Schlaubergerhebamme. Anders. Anders. Wie denn anders, um Himmels willen? Hatte das Aaaaaaaaa nicht die richtige Tonlage? Das Aaaaaaaaa war mir außerdem vollkommen egal. Sterben wollte ich. Oder wenigstens ohnmächtig werden. Meine aktuelle Situation war entsetzlich, unerträglich, grauenhaft.
Nach sechzehn Stunden war ich am Ende meiner Kräfte und hatte der Dauerwehe nichts mehr entgegenzusetzen. Mit dem letzten mickrigen Rest an Kraft, den ich von überall zusammenkratzte, schrie ich nach einem Kaiserschnitt.
»Warum dauert das denn so lange?«, beschwerte ich mich lauthals. – »Stellen Sie sich nicht so an. Sie sind kein Notfall!«, stauchte mich die Hebamme derart forsch zusammen, dass ich meinen Protest – Bin ich doch! – lieber runterschluckte.
Waren Hebammen generell unsensibel oder hatte ich ein besonderes Exemplar erwischt?
Zwanzig Minuten später.
Der endlich eintreffende Anästhesist belehrte mich über die Risiken des bevorstehenden Kaiserschnitts. Das musste ich schriftlich bestätigen. In meinem benebelten Zustand hätte ich alles unterzeichnet. Geschäftsfähig war ich in dieser Situation sicher nicht. Und ob der Kaiserschnitt Ausdruck meines Versagens war, ging mir sowas am Ar… vorbei.
Beim folgenden Eingriff, der sich zum Schutz aller Anwesenden hinter einem grünen Vorhang abspielte, wurde mit allerlei medizinischem Gerät geklappert. Einzelne Handgriffe – Schnitte mit einem Skalpell? – waren trotz lokaler Betäubung deutlich zu spüren.
»Entschuldigen Sie bitte. Dürfte ich noch etwas Narkose haben?« – »Leider nicht, Sie haben schon genug intus. Keine Angst, Sie sind heute der fünfte Kaiserschnitt«, murmelte der Operateur ungerührt und fuhrwerkte weiter in meinem Unterleib.
Während ich darauf bedacht war, nicht in Ohnmacht zu fallen, nur weil jemand Organe von einem Ort zum anderen schob, schrie jemand. Eine kleine Ziege? Es dauerte einige Momente, bis mir klar wurde, wer da schrie.
Mein ganzer Körper zitterte, ich war wie in Watte gepackt und die Brille, die ich dringend gebraucht hätte, um scharf zu sehen, lag im Nebenzimmer, in dem sich mein Mann von den vergangenen Stunden kurz erholte. Auch ohne klare Sicht wusste ich, dass mir ein Engel gezeigt wurde. Mein Engel. L. Wie beim Anblick des blauen Balkens im Schwangerschaftstest musste ich weinen.
Diesmal vor Glück.
Als der frisch gewaschene Engel auf meinen Oberkörper gelegt wurde, verschlug es mir die Sprache. Nach 36 Stunden ohne Schlaf, von Emotionen gebeutelt, spürte ich eine bisher unbekannte Glückseligkeit. Sollte ich je Zweifel gehabt haben, eine Bindung zu dem kleinen Leben aufbauen zu können, waren diese wie weggefegt. Gefühle überfluteten mich in einer nicht geahnten Heftigkeit. Ob ich wollte oder nicht, wurde ich von einer Emotionswelle mitgerissen.
Als säße ich gleichzeitig in Achterbahn, Karussell und Schiffsschaukel, trudelte ich wie im Rausch durch das Geschehen, nicht gesundheitsschädlich oder gar lebensbedrohlich, dafür aber mit höchstem Suchtfaktor. Es war, als würden um mich herum im Zeitraffer Sträucher, Wiesen, ganze Gärten von Blumen in einer Farbenpracht wachsen als wären sie durch einen Regenbogen geflogen. Eine völlig neue Form der Liebe: Mutterliebe, die mich nie wieder verlassen würde.
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